26.06.1997

Siebte Reise

Das Klima war dieses Mal sehr schwül. Adlerfrau stieg auf den Hügel und betrachtete den Einstieg. Rund herum war viel Bewuchs zu erkennen, Gras wuchs wie ein Wimpernkranz um das Loch und wuscheliges Moos wie Schambehaarung. Aus der Tiefe wehte ein feucht warmer Hauch herauf, und sie bekam Lust, sich auszuziehen und tat es auch. Dann tanzte sie erstmal einen wilden Tanz um die Öffnung herum.

Nach einiger Zeit stürzte sich Adlerfrau ekstatisch in das Einstiegsloch hinein, Adlermutter blieb derweil auf ihren Schultern sitzen. Sie kamen relativ schnell in der Höhlenhalle an und gingen absichtslos etwas herum. Der Boden unter ihren Füßen war fest und ein wenig feucht, und Adlerfrau dachte, es könne nicht schaden, die Halle zu untersuchen, vielleicht gäbe es etwas zu bearbeiten oder auszubessern. Da stand plötzlich ein Fuchs vor ihr. Sie sprach ihn an und stellte sich vor und fragte nach seinem Anliegen, so wie sie es gelernt hatte. Doch es ging um keine verbale Botschaft, sondern der Fuchs wollte sie irgendwohin mitnehmen. Also stieg sie auf seinen Rücken.

Eine Weile ritt sie auf dem Fuchsrücken so dahin und fühlte sich sehr wohl dabei. Währenddessen geriet sie in ihrer Trance irgendwie eine Etage tiefer, und alles um sie herum wurde auf einmal ganz grau. Eine Uhrzeit kam ihr in den Sinn, und in ihr sagte es laut: „Sechzehn Uhr dreißig.“ Sie konnte diese Zahl auch in riesigen Lettern geschrieben auf einer weißen Wand sehen. Zu ihrer Linken sah sie von außen in einen mit sehr kaltem Licht erhellten Raum. Ringsherum hatte er Fenster, deren untere Hälfte aus Milchglas bestand, sodass sie nicht alles erkennen konnte, was dort passierte. Der Bau erinnerte Adlerfrau an ein Krankenhaus aus ihrer Kindheit, aber auch ein Labor oder nüchterne Büroräume hätten es sein können.

Im oberen Teil eines der Fenster wurde ein Frauenkopf mit blonder Dauerwelle und einem altertümlichen, gefältelten Schwesternhäubchen darauf sichtbar. Diese Krankenschwester erzählte Adlerfrau, dass es ihr an Liebe mangele, und dass sie eine große Sehnsucht danach habe.

Zu ihrer Rechten befand sich ein anderer Raum, der war weiß gekachelt wie eine Metzgerei oder eine Großküche. Auch an einen OP Raum erinnerte er sie. Darin hantierten zwei hübsche junge Männer in weißer Kleidung mit großen Messern herum. Die beiden schienen ein Paar zu sein und erklärten Adlerfrau etwas verlegen aber ganz freundlich, sie hätten Probleme mit zu viel Gefühlen. Deswegen würden sie versuchen, diese von sich fernzuhalten.

Adlerfrau stand nur so da und dachte, sie müsste in irgendeiner Weise darauf reagieren, aber ihr fiel beim besten Willen nicht ein, wie. Deshalb schwang sie sich wieder auf den Rücken des Fuchses, und der Ritt ging weiter.

Sie kamen jetzt einen Weg entlang, der rechts und links von blassrosafarbenen Wällen gesäumt war. Der Pfad wurde allmählich zu einem rosig feucht schimmernden Graben, in dessen Mitte sich an einer Stelle ein Hügelchen erhob. Daran schlossen sich zwei kleinere Wälle, und gleich dahinter öffnete sich ein Hohlraum. Adlerfrau stürzte sich ohne zu überlegen dort hinein. Die Wände waren ganz weich, und sie wälzte sich wie wild darin herum.

Bilder von den Geburten ihrer Kinder erschienen vor ihr und von erlittenen Verletzungen. Der tiefe Wunsch, geheilt zu werden, sich selber zu heilen, war damit verbunden. Zwischenzeitlich tauchte sie auch hin und wieder in noch tiefere Bewusstseinsschichten ab, deren Inhalte sie aber sofort vergaß. Trotzdem fiel es ihr diesmal außergewöhnlich schwer, sich zu lösen, als sie merkte, dass sie umkehren musste. Schließlich stieg sie aber doch wieder auf den Fuchs und ließ sich zurücktragen.

Am Ende der Reise war sie dem kleinen, schlauen Tier sehr dankbar dafür, dass es sie auf den richtigen Weg gebracht hatte.